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Buchkritik des Romans „Ellbogen“ von Fatma Aydemir. Was steckt hinter der Coming-of-Age-Geschichte?
Verloren in der Selbstfindung und zugleich auf der Flucht in Erdogans Türkei, erzählt Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“ den Weg einer jungen Frau.
Ellbogen von Fatma Aydemir
Buchkritik: Wovon handelt Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“?
Zu Beginn ist das Debüt von Fatma Aydemir die Geschichte einer jungen Frau, die in Deutschland geboren wurde, aufwuchs und versucht ihren Platz im modernen Land unter den altmodischen Traditionen ihrer türkischen Eltern zu finden. Unter diesen Bedingungen ist das Scheitern einer zukunftsorientierten Frau jedoch, laut der Autorin, schon fast vorgeschrieben.
„Ellbogen“ ist überhäuft von Klischees
Die Zeilen spucken kulturelle Klischees nur so aus. Klischees, die das Bild einer vermeintlich typischen jungen Frau mit türkischen Wurzeln und traditionsbewussten Eltern in Deutschland zeichnet. Die Familie von Ich-Erzählerin Hazal lebt in einer viel zu kleinen Wohnung im Berliner Viertel Wedding, das vor allem für eine sozialschwächere Gesellschaft bekannt ist. Umgeben werden die Stereotypen von aktuellen Ereignissen, die sich häufen. Ereignisse, die der lesenden Person aufzeigen, dass dies keine reine Fiktion ist, sondern so durchaus stattfinden könnte. Gerade durch das Zurückholen in die Realität scheitert Fatma Aydemir daran Stereotypen zu brechen, sondern bestärkt diese extrem.
Ob der Terroranschlag am Istanbuler Flughafen, die Gesamtheit von Erdogans Regime oder gar die kurdischen Unabhängikeitsbestrebungen – es scheint als wäre jede noch so wichtige politische Lage in diesem Buch aufgegriffen. Jedoch bekommt auch die Lage der deutschen Nation genug Platz, um sich zu brüsten. Mit verpackt hat Fatma Aydemir auch die in dieser Zeit häufig aufkommenden U-Bahn-Schlägereien.
Überraschender Bruch durch die U-Bahn-Schlägerei
Vollkommen unerwartet trifft die Schlägerei die lesende Person. Die Hauptfigur Hazal feiert ausschreitend mit ihren drei besten Freundinnen ihren 18. Geburtstag – trotz Verbot ihrer Eltern. Doch abgewiesen vom Türsteher endet die Party früher als gedacht.
„Der einzige Mensch am Gleis ist ein Typ um die zwanzig, Student. Er trägt einen gestreiften Jutebeutel und eine komische Brille mit kleinen runden Gläsern.“ Auch der Student wird von Fatma Aydemir schon fast aus Gewohnheit in Klischees gepackt. „Ich stehe auf dominante Frauen. […] Soll ich dir meinen Schwanz zeigen?“
Unter Einfluss von Alkohol und Drogen verprügeln die Freundinnen diesen wildfremden jungen Studenten an der U-Bahn-Haltestelle wegen genau dieser Aussage zu Tode und stürzen ihn aufs Bahngleis. Wie aus dem nichts, wacht Hazal dann in Istanbul auf. Erneut ein vollkommen unerwarteter Bruch. Im zweiten Teil erzählt Fatma Aydemir die Flucht von Hazal.
Hazals Familie, eine dem Stereotyp entsprechende deutschtürkische Familie?
Die Protagonistin Hazal ist die Tochter eines Taxifahrers und einer Hausfrau, die einen Hang zur Melodramatik aufweist. Außer Tee trinken und türkische Liebesserien anzusehen weißt das Portrait der Mutter nicht sonderlich viel mehr auf. Wobei sie sich gerne scheiden lassen würde. Hazals Bruder ist ein Kleinkrimineller und unter der Perspektive kommt Hazal noch ganz gut davon. Sie besucht eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme und arbeitet schwarz in der Bäckerei ihres Onkels. Abends, wenn die ganze Familie eingeschlafen ist, skypt Hazal mit ihrer Facebook Bekanntschaft Mehmet. Ebenfalls ein Deutschtürke, der allerdings auf Grund von Straftaten in die Türkei abgeschoben wurde.
Auf die Frage, warum Fatma Aydemir uns mit der Darstellung der Familie nicht überrascht, bekommen wir im Buch keine Antwort. In der heutigen Zeit brauchen wir all diese Klischees und angeblichen Muster nicht mehr. Allerdings gibt es eine Person, die in der so frustrierenden Darstellung aus dem Rahmen fällt.
Tante Semra ist der Lichtblick des Romans. Sie hat Sozialpädagogik studiert und ist fürchterlich emanzipiert. Ein klein bisschen zu sehr für den Rest der Familie, denn Tante Semra hat mit Anfang 30 noch keine Kinder und ist unverheiratet.
Das Buch Ellbogen von Fatma Aydemir liegt geöffnet auf einer Decke.
Wer ist die Autorin Fatma Aydemir?
Fatma Aydemir, die 1986 in Karlsruhe geboren wurde, ist Journalistin. Sie studierte Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Die in Berlin lebende Redakteurin der taz schreibt auch für verschiedene Magazine als freie Autorin. Durch ihre Arbeit bei der taz beschäftigte sie sich viel mit den politischen Themen der Türkei, was sich somit erklärt diese im Roman aufzugreifen.
Dennoch leidet die Handlung schwer unter der Last der vielen politischen Themen. Sie wirken teilweise fehl am Platz. Vieles wird, vor allem das Milieu, sehr oberflächlich beschrieben. Alles rauscht nur so vorbei und der Coming-of-Age-Roman zieht einen nicht in die Tiefe. Es wirkt schwer.
Im zweiten Teil des Romans als Hazal nach Istanbul geflüchtet ist. Nehmen die vorrausschauenden klischeebestimmten Handlungen nur so Fahrt auf. Sie kommt bei Mehmet unter, der scheinbar immer high ist und dessen Mitbewohner, der von der türkischen Polizei als gefährlich eingestuft wird und auch relativ schnell verhaftet wird. An sich hat Hazals verhalten sich aber auch in Istanbul nicht verändert. Wie in Trance lebt sie trotz allem weiter.
Wach auf Hazal!
Das einzige, was man die ganze Zeit über möchte, erfüllt der Roman nicht – Hazal fest zu kneifen, vielleicht auch zu schütteln und zu hoffen, dass sie wach wird. Man wünscht sich, dass Hazal aufwacht und mit einer Portion gesundem Menschenverstand denkt. Die Protagonistin gerät vor der lesenden Person auf die schiefe Bahn man würde so gerne helfen. Die richtigen Entscheidungen werden ihr auf dem silbernen Tablett vorgeführt, doch sie wehrt sich. Man wünscht sich mehr Tiefe für diesen Roman, der damit so viel an Stärke hätte gewinnen können.
Mit genügend Distanz und Verinnerlichen, dass Klischees nicht der Norm entsprechen kann das Coming-of-Age-Buch durchaus auf den Stapel der Leseempfehlungen platziert werden.
„Ellbogen“ von Fatma Aydemir erschien im Januar 2017 im Carl Hanser Verlag. Gebundene Ausgabe um 20 Euro über Amazon.
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Buchkritik des Romans „Ellbogen“ von Fatma Aydemir. Was steckt hinter der Coming-of-Age-Geschichte?
Verloren in der Selbstfindung und zugleich auf der Flucht in Erdogans Türkei, erzählt Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“ den Weg einer jungen Frau.
Buchkritik: Wovon handelt Fatma Aydemirs Roman „Ellbogen“?
Zu Beginn ist das Debüt von Fatma Aydemir die Geschichte einer jungen Frau, die in Deutschland geboren wurde, aufwuchs und versucht ihren Platz im modernen Land unter den altmodischen Traditionen ihrer türkischen Eltern zu finden. Unter diesen Bedingungen ist das Scheitern einer zukunftsorientierten Frau jedoch, laut der Autorin, schon fast vorgeschrieben.
„Ellbogen“ ist überhäuft von Klischees
Die Zeilen spucken kulturelle Klischees nur so aus. Klischees, die das Bild einer vermeintlich typischen jungen Frau mit türkischen Wurzeln und traditionsbewussten Eltern in Deutschland zeichnet. Die Familie von Ich-Erzählerin Hazal lebt in einer viel zu kleinen Wohnung im Berliner Viertel Wedding, das vor allem für eine sozialschwächere Gesellschaft bekannt ist. Umgeben werden die Stereotypen von aktuellen Ereignissen, die sich häufen. Ereignisse, die der lesenden Person aufzeigen, dass dies keine reine Fiktion ist, sondern so durchaus stattfinden könnte. Gerade durch das Zurückholen in die Realität scheitert Fatma Aydemir daran Stereotypen zu brechen, sondern bestärkt diese extrem.
Ob der Terroranschlag am Istanbuler Flughafen, die Gesamtheit von Erdogans Regime oder gar die kurdischen Unabhängikeitsbestrebungen – es scheint als wäre jede noch so wichtige politische Lage in diesem Buch aufgegriffen. Jedoch bekommt auch die Lage der deutschen Nation genug Platz, um sich zu brüsten. Mit verpackt hat Fatma Aydemir auch die in dieser Zeit häufig aufkommenden U-Bahn-Schlägereien.
Überraschender Bruch durch die U-Bahn-Schlägerei
Vollkommen unerwartet trifft die Schlägerei die lesende Person. Die Hauptfigur Hazal feiert ausschreitend mit ihren drei besten Freundinnen ihren 18. Geburtstag – trotz Verbot ihrer Eltern. Doch abgewiesen vom Türsteher endet die Party früher als gedacht.
„Der einzige Mensch am Gleis ist ein Typ um die zwanzig, Student. Er trägt einen gestreiften Jutebeutel und eine komische Brille mit kleinen runden Gläsern.“ Auch der Student wird von Fatma Aydemir schon fast aus Gewohnheit in Klischees gepackt. „Ich stehe auf dominante Frauen. […] Soll ich dir meinen Schwanz zeigen?“
Unter Einfluss von Alkohol und Drogen verprügeln die Freundinnen diesen wildfremden jungen Studenten an der U-Bahn-Haltestelle wegen genau dieser Aussage zu Tode und stürzen ihn aufs Bahngleis. Wie aus dem nichts, wacht Hazal dann in Istanbul auf. Erneut ein vollkommen unerwarteter Bruch. Im zweiten Teil erzählt Fatma Aydemir die Flucht von Hazal.
Hazals Familie, eine dem Stereotyp entsprechende deutschtürkische Familie?
Die Protagonistin Hazal ist die Tochter eines Taxifahrers und einer Hausfrau, die einen Hang zur Melodramatik aufweist. Außer Tee trinken und türkische Liebesserien anzusehen weißt das Portrait der Mutter nicht sonderlich viel mehr auf. Wobei sie sich gerne scheiden lassen würde. Hazals Bruder ist ein Kleinkrimineller und unter der Perspektive kommt Hazal noch ganz gut davon. Sie besucht eine berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme und arbeitet schwarz in der Bäckerei ihres Onkels. Abends, wenn die ganze Familie eingeschlafen ist, skypt Hazal mit ihrer Facebook Bekanntschaft Mehmet. Ebenfalls ein Deutschtürke, der allerdings auf Grund von Straftaten in die Türkei abgeschoben wurde.
Auf die Frage, warum Fatma Aydemir uns mit der Darstellung der Familie nicht überrascht, bekommen wir im Buch keine Antwort. In der heutigen Zeit brauchen wir all diese Klischees und angeblichen Muster nicht mehr. Allerdings gibt es eine Person, die in der so frustrierenden Darstellung aus dem Rahmen fällt.
Tante Semra ist der Lichtblick des Romans. Sie hat Sozialpädagogik studiert und ist fürchterlich emanzipiert. Ein klein bisschen zu sehr für den Rest der Familie, denn Tante Semra hat mit Anfang 30 noch keine Kinder und ist unverheiratet.
Wer ist die Autorin Fatma Aydemir?
Fatma Aydemir, die 1986 in Karlsruhe geboren wurde, ist Journalistin. Sie studierte Germanistik und Amerikanistik in Frankfurt am Main. Die in Berlin lebende Redakteurin der taz schreibt auch für verschiedene Magazine als freie Autorin. Durch ihre Arbeit bei der taz beschäftigte sie sich viel mit den politischen Themen der Türkei, was sich somit erklärt diese im Roman aufzugreifen.
Dennoch leidet die Handlung schwer unter der Last der vielen politischen Themen. Sie wirken teilweise fehl am Platz. Vieles wird, vor allem das Milieu, sehr oberflächlich beschrieben. Alles rauscht nur so vorbei und der Coming-of-Age-Roman zieht einen nicht in die Tiefe. Es wirkt schwer.
Im zweiten Teil des Romans als Hazal nach Istanbul geflüchtet ist. Nehmen die vorrausschauenden klischeebestimmten Handlungen nur so Fahrt auf. Sie kommt bei Mehmet unter, der scheinbar immer high ist und dessen Mitbewohner, der von der türkischen Polizei als gefährlich eingestuft wird und auch relativ schnell verhaftet wird. An sich hat Hazals verhalten sich aber auch in Istanbul nicht verändert. Wie in Trance lebt sie trotz allem weiter.
Wach auf Hazal!
Das einzige, was man die ganze Zeit über möchte, erfüllt der Roman nicht – Hazal fest zu kneifen, vielleicht auch zu schütteln und zu hoffen, dass sie wach wird. Man wünscht sich, dass Hazal aufwacht und mit einer Portion gesundem Menschenverstand denkt. Die Protagonistin gerät vor der lesenden Person auf die schiefe Bahn man würde so gerne helfen. Die richtigen Entscheidungen werden ihr auf dem silbernen Tablett vorgeführt, doch sie wehrt sich. Man wünscht sich mehr Tiefe für diesen Roman, der damit so viel an Stärke hätte gewinnen können.
Mit genügend Distanz und Verinnerlichen, dass Klischees nicht der Norm entsprechen kann das Coming-of-Age-Buch durchaus auf den Stapel der Leseempfehlungen platziert werden.
„Ellbogen“ von Fatma Aydemir erschien im Januar 2017 im Carl Hanser Verlag. Gebundene Ausgabe um 20 Euro über Amazon.
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